Regionalität vs. kreative Entfaltung?
Das Grundproblem mit der Regionalität
Die Frage, was Regionalität überhaupt ist, konnte, wie zu erwarten war, auch an diesem Nachmittag nicht geklärt werden. Roland Trettl etwa sieht Regionalität nicht als Frage der Kilometer, sondern der Transparenz. Der Bezug zum Produzent schafft Vertrauen. Barbara van Melle gab zu bedenken, dass nirgendwo so viel gelogen würde, wie in der Gastronomie, wenn es um Regionalität geht. Sie sieht hier vor allem das Problem, dass viele Konsumenten mit durchschnittlichem Wissensstand gar nicht in der Lage sind, die Glaubwürdigkeit “regionaler Speisekarten” zu beurteilen und Lügen kaum auffallen. Ziegenkäse (der erst ab dem Frühjahr Saison hat, nachdem die Lämmer geboren wurden) wird etwa häufig bereits als regionale Spezialität ausgelobt, wenn es diesen noch gar nicht geben kann.
“WENN ICH DANN EIN PELLEGRINO SERVIERT BEKOMM’, DA KÖNNT ICH KOTZEN”
Roland Trettl, von dem dieses Zitat stammt, hat selbst im Hangar7 bekanntlich den Fokus auf Internationalität gelegt. Er bekundet großen Respekt vor Gastronomen, die Regionalität kreativ und kompromisslos umsetzen, oft entpuppen sich selbsternannte Regionalitäts-Gutmenschen aber als reine Mitläufer. Als Paradebeispiel für ein glaubwürdiges Konzept nennt Trettl Josef Floh, der in Langenlebarn erfolgreich seine Gastwirtschaft führt. Fast alles, was man dort so findet, stammt von Produzenten aus einem Umkreis von 66 km um Langenlebarn, zu denen der Gastronom über Jahre hinweg Beziehungen pflegt. So eine Produzentenbeziehung muss wachsen und erfordert viel Zeit und gegenseitige Wertschätzung. Floh befragt beispielsweise Zeitzeugen, um sich überlieferte Techniken zum Einlagern für den eher kargen Winter zu Nutze zu machen (den er übrigens nur “vermeintlich karg” findet). Dass die Rahmenbedingungen für ihn im fruchtbaren Niederösterreich andere sind als für Shootingstar Benjamin Parth vom YSCLA Stüva im Tiroler Paznaun, liegt auf der Hand.
Produktperfektionismus und Regionalität als Widerspruch
Mittlerweile sind so viele Gastronomen auf den Regionalitäts-Zug aufgesprungen, dass man glauben könnte, es gehöre zum guten Ton. Die Diskussion zeigte aber, dass es für viele Spitzengastronomen wichtigeres gibt und das, was man in den Medien an aktuellen Trends so aufgetischt bekommt oft nicht der Realität in den Küchen entspricht. Benjamin Parth, jüngster Haubenkoch Österreichs (26 Jahre, 3 Hauben, 3 Gabeln, 5 Sterne) will sich von der allgegenwärtigen Doktrin der Regionalität in seiner Kreativität nicht einschränken lassen und macht auch keinen Hehl daraus.
Das war für mich eine der spannendsten Perspektiven auf das Thema, weil das junge Ausnahmetalent so ehrlich und gleichgültig gegenüber (vermeintlichen) Trends argumentierte. Exotische Fische und Früchte finden sich genauso auf seiner Karte wie österreichische Lebensmittel. Als die New Nordic Cuisine des NOMA zum internationalen Erfolg wurde, habe er sich gedacht “jetzt muss i a rundherum Kräutln pflücken gehen”. Aber wenn er die japanische Yuzu-Frucht für seine Küche entdeckt und spannend findet, so Parth, warum sollte er sie nicht benutzen? Auch beim Fleisch steht für ihn die Entfernung zur Quelle nicht an oberster Stelle, sondern die Qualität. Er bezeichnet sich selbst als Produktperfektionist und gibt Einblicke, wie schwierig es für ihn als Koch in den Tiroler Bergen ist, etwa bei Fleisch ein konstantes Qualitätsniveau zu halten. Die Bauern in der Umgebung können ihn nicht ausreichend beliefern, schon gar nicht, wenn er besondere Spezialitäten wie etwa Euter benötigt. Er vertraut im Zweifelsfall lieber auf Fleisch aus Frankreich, dessen Qualität ihn überzeugt und konstantes Top-Niveau 7 Tage die Woche für ein Restaurant mit 100 Sitzplätzen ermöglicht – 7 Tage die Woche. Spannend wäre hier wohl noch, inwiefern der Preis eine Rolle spielt, ein Aspekt, der leider nicht zur Sprache kam. Mein Gefühl sagt mir, dass dieser in diesem Fall – anders als etwa beim Privatkonsument – nicht der Grund für den Bezug von ausländischem Fleisch ist. Die Regionalität wird in Parths Augen jedenfalls überstrapaziert. Obwohl ich nach wie vor regionale Bezugsquellen klar bevorzuge (für den Eigenbedarf, der eben ein ganz anderes Thema ist als die Gastronomie), kann ich Parths Aussagen durchaus nachvollziehen und sie beeindrucken mich sogar, weil es ihm völlig wurscht ist, ob das Publikum und der “Regionalität” blökende Medienmob seine Einstellung super findet oder nicht.